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Alt 26.11.2007, 21:55   #1
BLiZz@rD
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Standard Meine Geschichte für Literatur

Das ist bislang meine Geschichte für den Literaturkurs. Was sagt ihr bis hierhin? Was findet ihr gut, was nicht? Was sollte ich unbedingt noch abändern? Wäre nett, wenn sich jemand bereit erklärt das mal zu lesen

Zitat:
Das Medikament

Michael stand vor der schweren grauen Stahltür, die den Weg ins Patientenzimmer verschloss. Es war zwar nicht das erste Mal, dass er einer Gruppe von Versuchspatienten gegenübertrat, aber nie waren sie auch nur annähernd in einer solch aussichtslosen gesundheitlichen Situation und nie stand ein solch wichtiges Medikament auf seiner Liste wie dieses. Es kostete ihn einiges an Überwindung, doch dann griff er nach der kalten Türklinke und drückte sie beiseite. Der Raum war fast vollständig in weiß gehalten - weiß, weil es seine beruhigende Wirkung auf die Kranken und das Personal ausstrahlen sollte. Die Luft war stickig und es roch nach Krankheit und Tod. Die Wärme, die der scheinbar gewaltige Heizkörper ausstrahlte, empfand er als einengend. Er sah sich um und erblickte eine Vielzahl an Betten. Es waren diese typischen Krankenhausbetten, in denen die Kranken und Patienten fast wie im Grab aufgebart lagen, nahezu bewegungslos und scheinbar den Geruch des Todes von sich gebend. Dieser Anblick war eine der wenigen Dinge, die ihn an seinem Beruf störten. Selbst nach fast 15 Jahren hatte er sich noch nicht daran gewöhnt. Sein Blick blieb an einer Frau mittleren Alters hängen, die ihren Arm nach oben streckte und das über ihrem Bett hängende Dreieck fasste, um sich mit großer Anstrengung nach oben zu ziehen und aufzurichten. Doch sie ließ ihn wieder los und es entstand der Eindruck, als schwebe der Galgen über ihr und würde bald sein Werk vollenden. Sein Weg führte ihn weiter an das große Fenster am Ende des langen Raumes. Mit einem Ruck öffnete er es und es strömte kalte und frische Luft in den Raum. Michael hatte endlich das Gefühl, frei atmen zu können, nahm tief Luft und stellte sich den Anwesenden vor.

„Guten Tag, mein Name ist Michael Reuter. Ich bin für die nächsten Wochen ihr erster Ansprechpartner und leite diese Studie.“ Michael wartete auf eine Reaktion der Anwesenden, doch es dauerte einige Zeit, bis er vereinzelte Laute der Erwiederung aufschnappen konnte. Tod war scheinbar ein dehnbarer Begriff. Er fühlte sich bestätigt in seiner Annahme, dass diese Studie sich von den anderen abheben sollte. Er wurde zwar schon oft mit dem Tod konfrontiert - schließlich brachte das die Arbeit als Forscher an einer Universtitätsklinik mit sich -, aber diese konzentrierte Ansammlung von am Abgrund schwebenden Kranken bereitete ihm einige Schwierigkeiten, sich auf das Wesentliche, nämlich seine Arbeit, zu konzentrieren. Nach einem weiteren tiefen Atemzug setzte Michael erneut an. „Sie alle haben sich bereit erklärt, an dieser Studie zu einem neuen Krebsmedikament teilzunehmen. In den kommenden fünf Wochen werden wir sie in regelmäßigen Abständen mit eben diesem versorgen und dabei ihren Krankheitsverlauf genau beobachten. Ich denke, dass wir uns alle im Klaren darüber sind, in welch einer beinahe aussichtslosen Situation sie sich befinden. Deswegen vertrauen sie unserer Arbeit, denn dieses Medikament, das übrigens Tumorol heißt, könnte ihnen die Möglichkeit geben, ihr Leben zu verlängern.“ Michael stockte. Die Stimme blieb ihm im Halse stecken, als er ein kleines Mädchen in einem der Betten an der Tür erblickte. Sie konnte noch nicht wirklich alt sein, vielleicht sieben Jahre, vielleicht aber auch jünger. Sie war blass und abgemagert und die wenigen Haare auf ihrem kleinen runden Kopf zeugten von einer beschwerlichen und kräftezehrenden Chemotherapie. Doch sie war hier, ihre Krankheit nicht geheilt.

Michael war sauer auf sich selbst. Er redete sich ein, er habe nervös und inkompetent gewirkt und den Testpersonen nur noch mehr Angst eingejagt, als sie ohnehin schon hatten. Und dann dachte er wieder an das kleine Mädchen - der Gedanke, dass ein so junger Mensch viel zu früh aus dem Leben gerissen werden könnte, bereitete ihm Kopfzerbrechen und ließ ihn untuhig in seinem Arbeitszimmer auf und ab gehen. Nach einem kräftigen Schluck Kaffee griff er schließlich nach seinem weißen Kittel und verließ sein Büro in Richtung Patientenzimmer. Er wusste, dass er seine innere Ruhe nur dann wieder zurück erlangen würde, wenn er über die Vergangenheit des kleinen Mädchens Bescheid wusste. Doch als Michael die Tür des Patientenzimmers erreichte, blieb er stehen. Irgendetwas in ihm verursachte ein unwohles Gefühl und sagte ihm, dass er jetzt nicht mit dem Mädchen sprechen sollte. Nach einer kurzen Zeit des Zögerns wandte er sich wieder ab und ging in den Aktenraum. Es dauerte nicht lange, und er fand die Patientenakte, die er suchte - das Mädchen hieß Anna, war gerade einmal sechs Jahre alt und litt an einer besonders aggressiven Art der Leukämie.

Erschöpft und verausgabt fuhr Michael am Abend nach Hause. Er hatte sich erst vor wenigen Wochen einen BMW gekauft und genoss jede Fahrt mit seinem neuen Auto. Gerne legte er dazu seine Lieblingsmusik ein, denn es gab nichts anderes, dass seine Anspannung nach einem langen Arbeitstag besser lösen konnte. Außerdem war es seine Art des Übergangs in das Familienleben, denn ebenso gelöst konnte er so seine ohnehin nur wenigen Stunden mit seiner Frau und seiner Tochter verbringen. Heute aber wurde es besonders spät. Michael parkte seinen BMW in der Einfahrt und blieb sitzen. Das Bild im Patientenzimmer und Anna gingen ihm nicht aus dem Kopf, und das machte ihm Angst. Seine Arbeit hatte vorher nie den Weg ins Privatleben gefunden, doch diesmal schien es eindeutig anders zu sein. Der Blick auf die Uhr offenbarte Michael, dass der Tag bereits weit fortgeschritten war und mit einem Ruck erhob er sich aus seinem Sitz und stieg aus dem Auto.

Seine Frau lag schon im Bett. Sie hatte sich tief unter ihrer Bettdecke verkrochen, um die Kälte des Raumes nicht zu spüren und wandte ihm den Rücken zu. Michael hatte ein schlechtes Gewissen und ärgerte sich, dass er nicht früher nach Hause gekommen war. Er legte viel Wert darauf, zumindest den Abend mit der Familie zu verbringen, denn sie war ihm wichtig und es war seine Art zu verhindern, dass man sich trotz seines zeitaufwendigen Berufes auseinanderlebte und letztendlich irgendwann wieder getrennte Wege gehen würde. Möglichst leise um seine Frau nicht zu wecken entledigte sich Michael seiner Kleidung. Sie strömten den Geruch des Patientenzimmer aus, in dem er sich am Mittag so lange aufgehalten hatte. Wieder schweiften seine Gedanken ab - wie konnte es sein, dass ihn diese Studie bis in den Schlaf verfolgte, obwohl es bisher nie so war? War es die Wichtigkeit, die der Test für die Zukunft der Krebsbehandlung haben könnte? War es der Druck von außen, der das Ergebnis einer gewaltigen Erwartungshaltung war? Abrupt wurde Michael aus seinen Gedanken rissen. Seine Frau war aufgewacht und drehte sich zu ihm. „Wo warst du so lange? Ich habe mir schon Sorgen gemacht und du bist nicht an dein Handy gegangen. Ich dachte schon, es wäre etwas passiert.“ Michael zögerte kurz. „Nein, du weißt ja, dass ich mein Handy auf der Arbeit ausschalten muss. Ich habe einfach nur vergessen es wieder anzumachen. Aber jetzt lass' uns bitte schlafen, ich bin müde.“ Michael legte sich zu ihr ins Bett. Er flüsterte ihr noch „Ich liebe dich, Sarah“ ins Ohr, doch sie war schon wieder eingeschlafen und Michael wartete vergebens auf eine Antwort.

Die Studie verlief alles andere als zufriedenstellend. Schon nach der dritten Woche wurde klar, dass die erhoffte Wirkung des Medikaments nicht eintreten würde. Michael verlor zusehends seine Ausgeglichenheit, denn jeden Tag arbeitete er bis spät in die Nacht. Zu den Enttäuschungen, die er Tag für Tag zu Hause und bei der Arbeit erfuhr, kam eine scheinbar immer anwesende Müdigkeit und das gewaltige Verlangen nach Ruhe und körperlicher Wärme. Sarah bekam er kaum noch zu Gesicht und wenn doch, dann war sie schon längst am Schlafen. Stattdessen umgaben ihn den ganzen Tag krebskranke Patienten und haufenweise Papiere, die ausgefüllt werden wollten. Am Liebsten hätte er sich einfach mal freigenommen, einfach mal die Arbeit hinter sich gelassen und wäre mit seiner Frau für einige Zeit weggefahren. Irgendwohin, hauptsache wegfahren. Seine Frau kam ihm beinahe schon als Fremde vor, nie zuvor hatte er sie so lange nicht mehr richtig zu Gesicht bekommen. Doch die Arbeit ließ ihn für einige Zeit nicht mehr los.

Michael saß am ausladenden hölzernen Schreibtisch im seinem Arbeitszimmer der Universitätsklinik und füllte die immer wieder gleichen Formulare aus. Er hasste den Papierkram, eigentlich wollte er immer nur den Kontakt mit den Patienten pflegen anstatt im bürokratischen Müll zu ersticken. Doch dieses Mal freute er sich beinahe schon über das allabendliche Notieren der Ergebnisse, denn der tägliche Kontakt mit den trägen und alten Krebskranken drückte auf seine Stimmung. Als Michael bei der letzten Personenakte angekommen war, wurde er jäh aus seiner Konzentration gerissen. Sein Arbeitskollege Markus Roggisch war in das Arbeitszimmer getreten ohne vorher anzuklopfen und stand nun direkt hinter ihm. Michael drehte den Stuhl und sah ihm ins Gesicht. „Mensch Markus, du kannst doch nicht einfach so hier 'reinplatzen. Ich könnte doch gerade sonst was machen!“ Markus grinste. „Hast wohl Angst, dass ich dich hier mit deiner Frau erwische, oder was?“ Normalerweise hätte Michael darüber gelacht, doch er wusste, dass das von Markus geschilderte Szenario momentan wohl ziemlich unwahrscheinlich war. Also zwang er sich zu einem kurzen Grinsen und wechselte schnellstmöglich das Thema. „Wieso bist du denn überhaupt hergekommen, Markus?“
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Alt 26.11.2007, 21:56   #2
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Und der zweite Teil!
Zitat:
„Das geht doch nicht, das können wir nicht machen!“ Michael schaute ihm tief in die Augen, doch er blieb bei seiner Meinung. „Überleg doch mal was passieren würde, wenn die das herausfinden! Dann sind wir erledigt, Markus!“ Bisher zählte Michael ihn zu seinen besten Freunden. Schon während der Schulzeit verband beide eine innige Freundschaft und Michael glaubte Markus gut zu kennen, doch da war er sich jetzt nicht mehr so sicher. Mit ungläubigen Blicken musterte er Markus von oben bis unten. „Was soll uns denn schon passieren?“, warf Markus in den Raum. „Wir können das alles so abwickeln, dass niemandem etwas auffällt.“ Michael starrte ihn noch immer an. „Selbst wenn - willst du dich selber verraten? Willst du tausende Krebspatienten noch schneller in den Tod schicken? Du kennst die Ergebnisse doch selbst, du hast doch gesehen, dass dieses Zeug den Krankheitsverlauf sogar beschleunigt. Wie soll das denn nicht auffallen, wenn wir plötzlich das Gegenteil behaupten und die ganzen Resultate einfach willkürlich ins Gegenteil verdrehen? Spätestens wenn das Mittel auf dem Markt ist, wird man das über kurz oder lang herausfinden und dann kommt alles auf uns zurück!“ Michael war schockiert. Er konnte nicht glauben, dass Markus tatsächlich in Betracht zog, dieses unmoralische Angebot anzunehmen. Doch er sah das entschlossenes Gesicht von Markus, dessen Augen den Blickkontakt suchten, als wollten sie ihn dazu überreden nachzugeben. Sekundenlang herrschte Stille, bis sich Markus abwendete und zur Tür schritt. Kurz vor dem Absatz drehte er sich erneut um. „Überlege es dir noch mal genau. Wenn mir schon so viel Geld angeboten wird, dann denke ich zumindest intensiv darüber nach. Und wir wären bestimmt nicht die ersten, die Geld von einem Pharmaunternehmen bekommen, um Studienergebnisse zu verändern. Du musst auch mal an dich denken und daran, ob du es dir wirklich erlauben kannst, so viel Geld einfach liegen zu lassen.“ - „Was fällt dir eigentlich ein?“ Michael machte einen großen Schritt auf Markus zu. „Da unten liegt ein siebenjähriges Mädchen und wird an Läukemie sterben! Und das noch viel schneller als ohne dieses angebliche Wundermittel! Wenn ich jetzt auch noch diesem Zeug eine gute Wirksamkeit zuspreche, dann passiert das Selbe mit tausenden anderen Kindern! Glaubst du wirklich, ich lasse mich auf so etwas ein?“ Markus nickte. „Die sterben doch sowieso alle früher oder später. Kein Mittel der Welt kann sie heilen, nur ihre Leidenszeit verlängern. Nimm die zwei Millionen Euro und hör endlich auf zu denken, du könntest die Welt verbessern. Du kannst es nicht.“ Markus verließ endgültig den Raum und ließ Michael gedankenversunken und mit einem sorgenvollen Blick zurück. Erst das Zuknallen der schweren Tür riss ihn wieder aus seinen Gedanken und ihm wurde bewusst, dass sich das Gespräch nicht nur in seinem Kopf, sondern tatsächlich in seinem Büro abgespielt hatte.

Wieder kam Michael kurz vor Mitternacht nach Hause. Sarah lag diesmal aber nicht im Bett, stattdessen saß sie vor dem Fernseher und schaute einen Film. Als Michael die Haustür öffnete, sah er sie durch den offenen Flur hindurch auf dem Sofa liegen, mit einem Glas Rotwein in der Hand und einer brennenden Kerze, die vor ihr auf dem runden Glastisch stand und zusammen mit dem Leuchten des Bildschirms die einzige Lichtquelle im ansonsten dunklen Wohnzimmer darstellte. Wortlos zog Michael seinen Mantel aus und wandelte im Halbdunkel vorsichtig auf dem grau-schwarzen Steinboden zu seiner Frau. Erschöpft und ausgelaugt ließ er sich neben seiner Frau auf das Sofa fallen. Erst jetzt bemerkte er, dass sie nur spärlich bekleidet war. „Heute habe ich auf dich gewartet.“ Sarah richtete sich auf und setzte sich auf Michaels Schoß. „Meinst du nicht auch, dass es mal wieder an der Zeit wäre?“ Michael wurde nachdenklich. Vieles ging ihm durch den Kopf - Anna, Markus und seine ganze Arbeit schwirrten ständig wiederkehrend in seinen Gedanken umher, so dass er den Moment der Intimität mit Sarah nicht auskosten konnte. Nach einigem Zögern entließ er ein monotones „Ja“, doch Sarah merkte, dass er mit seinen Gedanken woanders war. Sie sprang auf und schaute ihn wutentbrannt an. „Wirklich überzeugend! Sag es mir doch einfach, wenn du keine Lust hast! Wahrscheinlich warst du wieder bei einer anderen Frau, wieso solltest du auch sonst so spät nach Hause kommen!“ - „Nein, ich habe dir doch schon gesagt, dass mich die Arbeit kurzfristig einiges an Zeit kosten wird, aber…“ Michael konnte den Satz nicht zu Ende bringen, denn Sarah war schon längst auf dem Weg ins Schlafzimmer und warf ihm ein „Lass es sein, ich will es nicht hören“ entgegen. „Und schlaf heute auf dem Sofa, ich will dich nicht bei mir haben!“ Er hörte das Knallen der Schlafzimmertür und blieb verwirrt und gedankenverloren zurück. Sein leerer Blick richtete sich auf die große Glaswand in Richtung Garten, an der der langsam einsetzende Regen ein gleichmäßiges beruhigendes Geräusch erzeugte und Regentropfen unaufhaltsam die Scheibe hinunterliefen. Minutenlang verhaarte Michael, ehe er den Fernseher ausschaltete, die Kerze auspustete und sich mit einer Wolldecke wärmend auf das Sofa legte um möglichst schnell einzuschlafen und diesen schrecklichen Tag hinter sich zu lassen.

Doch in dieser Nacht konnte er kaum schlafen. Pausenlos lief die Diskussion mit Markus in einer Endlosschleife in seinen Gedanken, und je mehr er darüber nachdachte, desto besser konnte er seine Argumente nachvollziehen. Wieso eigentlich nicht mal nur an sich denken? Wieso nicht einmal den einfachen Weg gehen? Wieso nicht auch etwas unmoralisches tun, wenn doch die ganze Welt um einen herum keine Skrupel mehr kennt und man sowieso nichts daran ändern kann? Diese alten Menschen kann doch sowieso niemand mit ansehen, wie sie dahin vegetieren und langsam vor sich hinsterben. Und auch den jüngeren Patienten ist doch nicht wirklich zu helfen. Vielleicht leben sie länger, aber was haben sie davon? Sie haben trotzdem die Gewissheit, dass sie sterben werden, sie müssen nur länger mit ihr leben. Michael verdrängte krampfhaft die kleine Anna aus seinen Gedanken. Er versuchte sich etwas einzureden, etwas einzubilden, und dabei konnte er sie nicht gebrauchen. Alles, was ihn wieder ins Gegenteil hätte schwanken lassen können, fand keinen Weg in seine Gedankenwelt. Er war am Boden - die Beziehung zu seiner Frau war angespannt und vielleicht sogar zum Scheitern verurteilt, und seine Arbeit belastete ihn immer mehr. Was hatte er also schon zu verlieren? Es war der Moment in dem Michael den Entschluss fasste, seine moralischen Werte hinter sich zu lassen und er sich auf etwas einließ, das sein Leben nachhaltig verändern sollte.

Monate vergingen und Michael vergaß mehr und mehr seine Tat. Vielleicht verdrängte er sie auch eher, aber er mochte überhaupt erst gar nicht daran denken. Nur die zwei Millionen Euro, die er nun zusätzlich sein Eigen nennen konnte, brachten ihn ab und an ins Grübeln. Er war sogar selber überrascht darüber, wie wenig ihm das Ganze zu denken gab. War es wirklich so einfach und folgenlos, unmoralisch zu handeln?

Michael lag mit Sarah auf dem Sofa und schaltete durch die verschiedenen Fernsehkanäle. Es war bereits weit nach Mitternacht und sie gähnte nahezu unaufhörlich, so dass sich die Müdigkeit auch mehr und mehr auf Michael übertrug. „Komm, lass uns ins Bett gehen“. Sarah räkelte sich in seinen Armen und schmiegte sich an seine Brust. Als Michael den Fernseher ausschalten wollte, bemerkte er jedoch eine Nachrichtensendung, die über ein Medikament namens Tumorol berichtete. Tumorol - ihm stockte der Atem. Er stellte den Ton lauter. „Die überaus positiven Ergebnisse der Studie versprechen dem Pharmakonzern Milliardengewinne. So ist Tumorol gegen eine Vielzahl von Krebserkrankungen und Tumore wirksamer als die meisten bisher üblichen Krebsmedikamente und dürfte somit reißenden Absatz finden. Ab morgen wird Tumorol offiziell zugelassen und somit tausenden Patienten jedes Jahr ein längeres Leben verleihen.“
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Alt 26.11.2007, 22:07   #3
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per pn oder hier?

ohne gelesen zu haben:
Ein Titel wäre nicht schlecht

ziemlich am Anfang:
...weil es seine beruhigende Wirkung auf die Kranken und das Personal ausstrahlen ...
mach mal das s weg

Erster Abschnitt, fast am Ende:
Doch sie ließ ihn wieder los und es entstand der Eindruck, als schwebe der Galgen über ihr und würde bald sein Werk vollenden
Da muss es hin, geht doch ums Dreieck
Nicht sicher ob es der Galgen heissen sollte und nicht ein Galgen

Sag uns mal das Thema über was ihr schreiben sollt. Damit kann man besser auswerten, ob du das Thema getroffen und dich an Vorgaben gehalten hast
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Verein: SV 09 Dortmund (823344)
Jugend: SV Dortmunder Knaben (880648)
Stadion: Westfalenstadion

Saisonziel A-Team: Platz 4
Saisonziel Jugend: Klassenerhalt

Geändert von Der Huhn (26.11.2007 um 22:15 Uhr).
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Alt 26.11.2007, 22:10   #4
BLiZz@rD
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Ist mir beides Recht, von mir aus auch hier, dann können die anderen auch auf deine Ideen eingehen (hoffe ich zumindest ).

Ach ja, die Geschichte heißt "Das Medikament".
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Alt 27.11.2007, 12:07   #5
Berghutzen
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Du hast es so gewollt... Aber nicht persönlich nehmen, okay ?


1.

Grundsätzlich finde ich die Idee eines "Seelenkonfliktes" eine gute Idee für eine Kurzgeschichte, in der nicht auf etwaige Motive der Leute seitenlang eingegangen werden muß. Allerdings kommt mir das Motiv des kleinen Mädchens zu kurz - guter Aufhänger, aber du hättest mehr daraus machen können. Der innere Streit - Beruf - Berufung - Beziehung kommt am Ende der Geschichte gut raus, aber das Ende ist fad.

Vielleicht hättest du nicht einen simplen - völlig banalen - Nachrichtensprecher das Ende sprechen lassen sollen. Sondern Sarah, die vor einigen Tagen beim Arzt war und Leukämiekrank ist - aber dank Michaels Studien nun in der übermäßigen Hoffnung ist, wieder gesund zu werden, weil ihr nämlich Tumorol verschrieben wurde. Das würde einen völlig zerrissenen Michael hinterlassen und die Geschichte richtig offen beenden.


2.

Nun zu stilistischen Anmerkungen:

Zitat:
Der Raum war fast vollständig in weiß gehalten - weiß, weil es seine beruhigende Wirkung auf die Kranken und das Personal ausstrahlen sollte.

Du weißt, daß das nicht stimmt ? Weiß ist alles andere als eine beruhigende Farbe.

Zitat:
...und scheinbar den Geruch des Todes von sich gebend.

Das wirkt komisch, weil du vorher schon von "roch nach Tod" geschrieben hast. Besser wäre was wie "Quelle des Gestanks", wobei das sehr harsch wirkt.

Zitat:
Mit einem Ruck öffnete er es und es strömte kalte und frische Luft in den Raum.

Besser: "...und kalte, frische Luft strömte in den Raum."

Zitat:
Michael war sauer auf sich selbst.

Sauer hört sich so einfach an. Er ist innerlich zerrissen, will Hoffnung vermitteln, aber seine Stimme bebt, er ist voller Mitleid und verzweifelt, weil dieses junge Kind sterben wird - vielleicht solltest du auch diesen Gefühlslkampf so schildern.

Zitat:
das Mädchen hieß Anna, war gerade einmal sechs Jahre alt

Im zweiten Abschnitt ist sie plötzlich 7.

Zitat:
...und Michael wartete vergebens auf eine Antwort.

Die Studie verlief alles andere als zufriedenstellend.

Daß du die Mißstimmung so fortsetzt, finde ich toll !


3.

Ich würde mir eine Aufteilung in 3 "Kapitel" wünschen. 1. Teil, und dann den 2. Teil bis "Monate vergingen" und den Rest. Ebenso wäre es toll, wenn du die Entscheidung nicht so offensichtlich machen würdest. Es ist aufgrund seiner Situation offensichtlich, wie Michael reagieren wird, also daß er das Geld nimmt. Bau mehr Argumente ein, daß er das Geld eben nicht nimmt, so daß der Leser nach Kapitel 2 eben nicht weiß, wie er sich entscheiden wird. Und wenn du dann noch Sarah erkranken lässt, und der Leser als allerletzten Satz erfährt, daß Tumorol doch zugelassen wurde, dann weiß man, wie er sich entschieden hat.
__________________
cirE: "Lasst uns eine Männerselbsthilfegruppe gründen, "Is was e.V.?"
Ricco: "Plädiere für einen anderen Namen, sonst kommt Berghutzen mit den Selbsthilfegruppen "Is was e.V.?" und "Iss was e.V.?" durcheinander." .
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Alt 27.11.2007, 12:15   #6
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Danke für deine Meinungen!

Die Geschichte war ja auch noch nicht fertig, das Ende fehlt noch. Deswegen fällt dein erster Punkt ja schon mal weg.

Die anderen Punkte werde ich mir in Ruhe anschauen. Die endgültige Geschichte kann ich ja dann auch noch reinstellen!

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Alt 27.11.2007, 12:27   #7
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Zitat:
Zitat von Der Huhn
Sag uns mal das Thema über was ihr schreiben sollt. Damit kann man besser auswerten, ob du das Thema getroffen und dich an Vorgaben gehalten hast
Das Thema war eigentlich frei wählbar

Und nun zu Berghutzen:

Zitat:
Du weißt, daß das nicht stimmt ? Weiß ist alles andere als eine beruhigende Farbe.
Ja, da hast du eigentlich Recht. Da muss ich mir noch was überlegen. Grün wäre hier wohl passender

Zitat:
Das wirkt komisch, weil du vorher schon von "roch nach Tod" geschrieben hast. Besser wäre was wie "Quelle des Gestanks", wobei das sehr harsch wirkt.
Das finde ich persönlich jetzt nicht so dramatisch.

Zitat:
Besser: "...und kalte, frische Luft strömte in den Raum."
Hast vollkommen Recht. Übernommen!

Zitat:
Sauer hört sich so einfach an. Er ist innerlich zerrissen, will Hoffnung vermitteln, aber seine Stimme bebt, er ist voller Mitleid und verzweifelt, weil dieses junge Kind sterben wird - vielleicht solltest du auch diesen Gefühlslkampf so schildern.
Ja, das ändere ich auch. Den Konflikt kann ich nicht ausfürhrlich schildern, weil ich maximal 6-7 Seiten haben darf. Da muss ich halt auch Dinge (leider) weglassen


Zitat:
Im zweiten Abschnitt ist sie plötzlich 7.
Im zweiten Abschnitt weiß er es nicht und schätzt sie auf 7. Später schaut er genau nach und erfährt, dass sie erst 6 ist. Also eigentlich korrekt, denke ich.

Zitat:
Daß du die Mißstimmung so fortsetzt, finde ich toll !
Juhu, ein Lob!

Zitat:
Ich würde mir eine Aufteilung in 3 "Kapitel" wünschen. 1. Teil, und dann den 2. Teil bis "Monate vergingen" und den Rest.
Die Aufteilung kommt am Schluss, habe da so ähnlich gedacht wie du.

Zitat:
Ebenso wäre es toll, wenn du die Entscheidung nicht so offensichtlich machen würdest. Es ist aufgrund seiner Situation offensichtlich, wie Michael reagieren wird, also daß er das Geld nimmt. Bau mehr Argumente ein, daß er das Geld eben nicht nimmt, so daß der Leser nach Kapitel 2 eben nicht weiß, wie er sich entscheiden wird. Und wenn du dann noch Sarah erkranken lässt, und der Leser als allerletzten Satz erfährt, daß Tumorol doch zugelassen wurde, dann weiß man, wie er sich entschieden hat.
Gute Idee für ein Ende, meines ist ähnlich, aber doch anders Und wie gesagt, ich muss mich leider kurzhalten, deswegen kann ich nicht weit ausholen...
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Alt 27.11.2007, 14:15   #8
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Kurz halten ? Das sind bis jetzt 4-5 Seiten, richtig ?

Ach ja, nur mal so nebenbei: hier eine Geschichte von mir, aber die ist weit ab von "fertig".

http://www.ascapedia.de/Nancor.pdf
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cirE: "Lasst uns eine Männerselbsthilfegruppe gründen, "Is was e.V.?"
Ricco: "Plädiere für einen anderen Namen, sonst kommt Berghutzen mit den Selbsthilfegruppen "Is was e.V.?" und "Iss was e.V.?" durcheinander." .
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Alt 16.12.2007, 14:13   #9
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Super Geschichte, Hutzen, aber entspricht nicht ganz meinem Geschmack

So, die Geschichte ist fertig und wen es interessiert, kann sie ja noch mal lesen und noch seinen Senf dazu geben

Zitat:
1. Teil

Michael stand vor der schweren grauen Stahltür, die den Weg ins Patientenzimmer verschloss. Es war zwar nicht das erste Mal, dass er einer Gruppe von Versuchspatienten gegenübertrat, aber nie waren sie auch nur annähernd in einer solch aussichtslosen gesundheitlichen Situation und nie stand ein solch wichtiges Medikament auf seiner Liste wie dieses. Es kostete ihn einiges an Überwindung, doch dann griff er nach der kalten Türklinke und drückte sie beiseite. Der Raum war fast vollständig in weiß gehalten - weiß, weil es seine beruhigende Wirkung auf die Kranken und das Personal ausstrahlen sollte. Die Luft war stickig und es roch nach Krankheit und Tod. Die Wärme, die der scheinbar gewaltige Heizkörper ausstrahlte, empfand er als einengend. Er sah sich um und erblickte eine Vielzahl an Betten. Es waren diese typischen Krankenhausbetten, in denen die Kranken und Patienten fast wie im Grab aufgebart lagen, nahezu bewegungslos und scheinbar den Geruch des Todes von sich gebend. Dieser Anblick war eine der wenigen Dinge, die ihn an seinem Beruf störten. Selbst nach fast 15 Jahren hatte er sich noch nicht daran gewöhnt. Sein Blick blieb an einer Frau mittleren Alters hängen, die ihren Arm nach oben streckte und das über ihrem Bett hängende Dreieck fasste, um sich mit großer Anstrengung nach oben zu ziehen und aufzurichten. Doch sie ließ es wieder los und es entstand der Eindruck, als schwebe der Galgen über ihr und würde bald sein Werk vollenden. Sein Weg führte ihn weiter an das große Fenster am Ende des langen Raumes. Mit einem Ruck öffnete er es und kalte frische Luft strömte in den Raum. Michael hatte endlich das Gefühl, frei atmen zu können, holte tief Luft und stellte sich den Anwesenden vor.

„Guten Tag, mein Name ist Michael Reuter. Ich bin für die nächsten Wochen ihr erster Ansprechpartner und leite diese Studie.“ Michael wartete auf eine Reaktion der Anwesenden, doch es dauerte einige Zeit, bis er vereinzelte Laute der Erwiderung aufschnappen konnte. Tod war scheinbar ein dehnbarer Begriff. Er fühlte sich bestätigt in seiner Annahme, dass diese Studie sich von den anderen abheben sollte. Er wurde zwar schon oft mit dem Tod konfrontiert - schließlich brachte das die Arbeit als Forscher an einer Universitätsklinik mit sich -, aber diese konzentrierte Ansammlung von am Abgrund schwebenden Kranken bereitete ihm einige Schwierigkeiten, sich auf das Wesentliche, nämlich seine Arbeit, zu konzentrieren. Nach einem weiteren tiefen Atemzug setzte Michael erneut an. „Sie alle haben sich bereit erklärt, an dieser Studie zu einem neuen Krebsmedikament teilzunehmen. In den kommenden fünf Wochen werden wir sie in regelmäßigen Abständen mit eben diesem versorgen und dabei ihren Krankheitsverlauf genau beobachten. Ich denke, dass wir uns alle im Klaren darüber sind, in welch einer beinahe aussichtslosen Situation sie sich befinden. Deswegen vertrauen sie unserer Arbeit, denn dieses Medikament, das übrigens Tumorol heißt, könnte ihnen die Möglichkeit geben, ihr Leben zu verlängern.“ Michael stockte. Die Stimme blieb ihm im Halse stecken, als er ein kleines Mädchen in einem der Betten an der Tür erblickte. Sie konnte noch nicht wirklich alt sein, vielleicht sieben Jahre, vielleicht aber auch jünger. Sie war blass und abgemagert und die wenigen Haare auf ihrem kleinen runden Kopf zeugten von einer beschwerlichen und kräftezehrenden Chemotherapie. Doch sie war hier, ihre Krankheit nicht geheilt.

Michael war wütend auf sich selbst. Er redete sich ein, er habe nervös und inkompetent gewirkt und den Testpersonen nur noch mehr Angst eingejagt, als sie ohnehin schon hatten. Und dann dachte er wieder an das kleine Mädchen - der Gedanke, dass ein so junger Mensch viel zu früh aus dem Leben gerissen werden könnte, bereitete ihm Kopfzerbrechen und ließ ihn unruhig in seinem Arbeitszimmer auf und ab gehen. Nach einem kräftigen Schluck Kaffee griff er schließlich nach seinem weißen Kittel und verließ sein Büro in Richtung Patientenzimmer. Er wusste, dass er seine innere Ruhe nur dann wieder zurück erlangen würde, wenn er über die Vergangenheit des kleinen Mädchens Bescheid wusste. Doch als Michael die Tür des Patientenzimmers erreichte, blieb er stehen. Irgendetwas in ihm verursachte ein unwohles Gefühl und sagte ihm, dass er jetzt nicht mit dem Mädchen sprechen sollte. Nach einer kurzen Zeit des Zögerns wandte er sich wieder ab und ging in den Aktenraum. Es dauerte nicht lange, und er fand die Patientenakte, die er suchte - das Mädchen hieß Anna, war gerade einmal sechs Jahre alt und litt an einer besonders aggressiven Art der Leukämie.

Erschöpft und verausgabt fuhr Michael am Abend nach Hause. Er hatte sich erst vor wenigen Wochen einen BMW gekauft und genoss jede Fahrt mit seinem neuen Auto. Gerne legte er dazu seine Lieblingsmusik ein, denn es gab nichts anderes, dass seine Anspannung nach einem langen Arbeitstag besser lösen konnte. Außerdem war es seine Art des Übergangs in das Familienleben, denn ebenso gelöst konnte er so seine ohnehin nur wenigen Stunden mit seiner Frau verbringen. Heute aber wurde es besonders spät. Michael parkte seinen BMW in der Einfahrt und blieb sitzen. Das Bild im Patientenzimmer und Anna gingen ihm nicht aus dem Kopf, und das machte ihm Angst. Seine Arbeit hatte vorher nie den Weg ins Privatleben gefunden, doch diesmal schien es eindeutig anders zu sein. Der Blick auf die Uhr offenbarte Michael, dass der Tag bereits weit fortgeschritten war und mit einem Ruck erhob er sich aus seinem Sitz und stieg aus dem Auto.

Seine Frau lag schon im Bett. Sie hatte sich tief unter ihrer Bettdecke verkrochen, um die Kälte des Raumes nicht zu spüren und wandte ihm den Rücken zu. Michael hatte ein schlechtes Gewissen und ärgerte sich, dass er nicht früher nach Hause gekommen war. Er legte viel Wert darauf, zumindest den Abend mit der Familie zu verbringen, denn sie war ihm wichtig und es war seine Art zu verhindern, dass man sich trotz seines zeitaufwendigen Berufes auseinanderlebte und letztendlich irgendwann wieder getrennte Wege gehen würde. Möglichst leise um seine Frau nicht zu wecken entledigte sich Michael seiner Kleidung. Sie strömten den Geruch des Patientenzimmers aus, in dem er sich am Mittag so lange aufgehalten hatte. Wieder schweiften seine Gedanken ab - wie konnte es sein, dass ihn diese Studie bis in den Schlaf verfolgte, obwohl es bisher nie so war? War es die Wichtigkeit, die der Test für die Zukunft der Krebsbehandlung haben könnte? War es der Druck von außen, der das Ergebnis einer gewaltigen Erwartungshaltung war? Abrupt wurde Michael aus seinen Gedanken rissen. Seine Frau war aufgewacht und drehte sich zu ihm. „Wo warst du so lange? Ich habe mir schon Sorgen gemacht und du bist nicht an dein Handy gegangen. Ich dachte schon, es wäre etwas passiert.“ Michael zögerte kurz. „Nein, du weißt ja, dass ich mein Handy auf der Arbeit ausschalten muss. Ich habe einfach nur vergessen es wieder anzumachen. Aber jetzt lass' uns bitte schlafen, ich bin müde.“ Michael legte sich zu ihr ins Bett. Er flüsterte ihr noch „Ich liebe dich, Sarah“ ins Ohr, doch sie war schon wieder eingeschlafen und Michael wartete vergebens auf eine Antwort.

Die Studie verlief alles andere als zufriedenstellend. Schon nach der dritten Woche wurde klar, dass die erhoffte Wirkung des Medikaments nicht eintreten würde. Michael verlor zusehends seine Ausgeglichenheit, denn jeden Tag arbeitete er bis spät in die Nacht. Zu den Enttäuschungen, die er Tag für Tag zu Hause und bei der Arbeit erfuhr, kam eine scheinbar immer anwesende Müdigkeit und das gewaltige Verlangen nach Ruhe und körperlicher Wärme. Sarah bekam er kaum noch zu Gesicht und wenn doch, dann war sie schon längst am Schlafen. Stattdessen umgaben ihn den ganzen Tag krebskranke Patienten und haufenweise Papiere, die ausgefüllt werden wollten. Am liebsten hätte er sich einfach mal freigenommen, einfach mal die Arbeit hinter sich gelassen und wäre mit seiner Frau für einige Zeit weggefahren. Irgendwohin, Hauptsache wegfahren. Seine Frau kam ihm beinahe schon als Fremde vor, nie zuvor hatte er sie so lange nicht mehr richtig zu Gesicht bekommen. Doch die Arbeit ließ ihn für einige Zeit nicht mehr los.

Michael saß am ausladenden hölzernen Schreibtisch im seinem Arbeitszimmer der Universitätsklinik und füllte die immer wieder gleichen Formulare aus. Er hasste den Papierkram, eigentlich wollte er immer nur den Kontakt mit den Patienten pflegen, anstatt im bürokratischen Müll zu ersticken. Doch dieses Mal freute er sich beinahe schon über das allabendliche Notieren der Ergebnisse, denn der tägliche Kontakt mit den trägen und alten Krebskranken drückte auf seine Stimmung. Als Michael bei der letzten Personenakte angekommen war, wurde er jäh aus seiner Konzentration gerissen. Sein Arbeitskollege Markus Roggisch war in das Arbeitszimmer getreten ohne vorher anzuklopfen und stand nun direkt hinter ihm. Michael drehte den Stuhl und sah ihm ins Gesicht. „Mensch Markus, du kannst doch nicht einfach so hier 'reinplatzen. Ich könnte doch gerade sonst was machen!“ Markus grinste. „Hast wohl Angst, dass ich dich hier mit deiner Frau erwische, oder was?“ Normalerweise hätte Michael darüber gelacht, doch er wusste, dass das von Markus geschilderte Szenario momentan wohl ziemlich unwahrscheinlich war. Also zwang er sich zu einem kurzen Grinsen und wechselte schnellstmöglich das Thema. „Wieso bist du denn überhaupt hergekommen, Markus?“
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2. Teil

„Das geht doch nicht, das können wir nicht machen!“ Michael schaute ihm tief in die Augen, doch er blieb bei seiner Meinung. „Überleg doch mal was passieren würde, wenn die das herausfinden! Dann sind wir erledigt, Markus!“ Bisher zählte Michael ihn zu seinen besten Freunden. Schon während der Schulzeit verband beide eine innige Freundschaft und Michael glaubte Markus gut zu kennen, doch da war er sich jetzt nicht mehr so sicher. Mit ungläubigen Blicken musterte er Markus von oben bis unten. „Was soll uns denn schon passieren?“, warf Markus in den Raum. „Wir können das alles so abwickeln, dass niemandem etwas auffällt.“ Michael starrte ihn noch immer an. „Selbst wenn - willst du dich selber verraten? Willst du tausende Krebspatienten noch schneller in den Tod schicken? Du kennst die Ergebnisse doch selbst, du hast doch gesehen, dass dieses Zeug den Krankheitsverlauf sogar beschleunigt und, dass eine Überdosierung schlimme Folgen haben kann. Wie soll das denn nicht auffallen, wenn wir plötzlich das Gegenteil behaupten und die ganzen Resultate einfach willkürlich ins Gegenteil verdrehen? Spätestens wenn das Mittel auf dem Markt ist, wird man das über kurz oder lang herausfinden und dann kommt alles auf uns zurück!“ Michael war schockiert. Er konnte nicht glauben, dass Markus tatsächlich in Betracht zog, dieses unmoralische Angebot anzunehmen. Doch er sah das entschlossene Gesicht von Markus, dessen Augen den Blickkontakt suchten, als wollten sie ihn dazu überreden nachzugeben. Sekundenlang herrschte Stille, bis sich Markus abwendete und zur Tür schritt. Kurz vor dem Absatz drehte er sich erneut um. „Überlege es dir noch mal genau. Wenn mir schon so viel Geld angeboten wird, dann denke ich zumindest intensiv darüber nach. Und wir wären bestimmt nicht die ersten, die Geld von einem Pharmaunternehmen bekommen, um Studienergebnisse zu verändern. Du musst auch mal an dich denken und daran, ob du es dir wirklich erlauben kannst, so viel Geld einfach liegen zu lassen.“ - „Was fällt dir eigentlich ein?“ Michael machte einen großen Schritt auf Markus zu. „Da unten liegt ein sechsjähriges Mädchen und wird an Leukämie sterben! Und das noch viel schneller als ohne dieses angebliche Wundermittel! Wenn ich jetzt auch noch diesem Zeug eine gute Wirksamkeit zuspreche, dann passiert dasselbe mit tausenden anderen Kindern! Glaubst du wirklich, ich lasse mich auf so etwas ein?“ Markus nickte. „Die sterben doch sowieso alle früher oder später. Kein Mittel der Welt kann sie heilen, nur ihre Leidenszeit verlängern. Nimm die zwei Millionen Euro und hör endlich auf zu denken, du könntest die Welt verbessern. Du kannst es nicht.“ Markus verließ endgültig den Raum und ließ Michael gedankenversunken und mit einem sorgenvollen Blick zurück. Erst das Zuknallen der schweren Tür riss ihn wieder aus seinen Gedanken und ihm wurde bewusst, dass sich das Gespräch nicht nur in seinem Kopf, sondern tatsächlich in seinem Büro abgespielt hatte.

Wieder kam Michael kurz vor Mitternacht nach Hause. Sarah lag diesmal aber nicht im Bett, stattdessen saß sie vor dem Fernseher und schaute einen Film. Als Michael die Haustür öffnete, sah er sie durch den offenen Flur hindurch auf dem Sofa liegen, mit einem Glas Rotwein in der Hand und einer brennenden Kerze, die vor ihr auf dem runden Glastisch stand und zusammen mit dem Leuchten des Bildschirms die einzige Lichtquelle im ansonsten dunklen Wohnzimmer darstellte. Wortlos zog Michael seinen Mantel aus und wandelte im Halbdunkel vorsichtig auf dem grau-schwarzen Steinboden zu seiner Frau. Erschöpft und ausgelaugt ließ er sich neben seiner Frau auf das Sofa fallen. Erst jetzt bemerkte er, dass sie nur spärlich bekleidet war. „Heute habe ich auf dich gewartet.“ Sarah richtete sich auf und setzte sich auf Michaels Schoß. „Meinst du nicht auch, dass es mal wieder an der Zeit wäre?“ Michael wurde nachdenklich. Vieles ging ihm durch den Kopf - Anna, Markus und seine ganze Arbeit schwirrten ständig wiederkehrend in seinen Gedanken umher, so dass er den Moment der Intimität mit Sarah nicht auskosten konnte. Nach einigem Zögern entließ er ein monotones „Ja“, doch Sarah merkte, dass er mit seinen Gedanken woanders war. Sie sprang auf und schaute ihn wutentbrannt an. „Wirklich überzeugend! Sag es mir doch einfach, wenn du keine Lust hast! Wahrscheinlich warst du wieder bei einer anderen Frau, wieso solltest du auch sonst so spät nach Hause kommen!“ - „Nein, ich habe dir doch schon gesagt, dass mich die Arbeit kurzfristig einiges an Zeit kosten wird, aber…“ Michael konnte den Satz nicht zu Ende bringen, denn Sarah war schon längst auf dem Weg ins Schlafzimmer und warf ihm ein „Lass es sein, ich will es nicht hören“ entgegen. „Und schlaf heute auf dem Sofa, ich will dich nicht bei mir haben!“ Er hörte das Knallen der Schlafzimmertür und blieb verwirrt und gedankenverloren zurück. Sein leerer Blick richtete sich auf die große Glaswand in Richtung Garten, an der der langsam einsetzende Regen ein gleichmäßiges beruhigendes Geräusch erzeugte und Regentropfen unaufhaltsam die Scheibe hinunterliefen. Minutenlang verharrte Michael, ehe er den Fernseher ausschaltete, die Kerze auspustete und sich mit einer Wolldecke wärmend auf das Sofa legte um möglichst schnell einzuschlafen und diesen schrecklichen Tag hinter sich zu lassen.

Doch in dieser Nacht konnte er kaum schlafen. Pausenlos lief die Diskussion mit Markus in einer Endlosschleife in seinen Gedanken, und je mehr er darüber nachdachte, desto besser konnte er seine Argumente nachvollziehen. Wieso eigentlich nicht mal nur an sich denken? Wieso nicht einmal den einfachen Weg gehen? Wieso nicht auch etwas unmoralisches tun, wenn doch die ganze Welt um einen herum keine Skrupel mehr kennt und man sowieso nichts daran ändern kann? Diese alten Menschen kann doch sowieso niemand mit ansehen, wie sie dahin vegetieren und langsam vor sich hinsterben. Und auch den jüngeren Patienten ist doch nicht wirklich zu helfen. Vielleicht leben sie länger, aber was haben sie davon? Sie haben trotzdem die Gewissheit, dass sie sterben werden, sie müssen nur länger mit ihr leben. Michael verdrängte krampfhaft die kleine Anna aus seinen Gedanken. Er versuchte sich etwas einzureden, etwas einzubilden, und dabei konnte er sie nicht gebrauchen. Alles, was ihn wieder ins Gegenteil hätte schwanken lassen können, fand keinen Weg in seine Gedankenwelt. Er war am Boden - die Beziehung zu seiner Frau war angespannt und vielleicht sogar zum Scheitern verurteilt, und seine Arbeit belastete ihn immer mehr. Was hatte er also schon zu verlieren? Es war der Moment in dem Michael den Entschluss fasste, seine moralischen Werte hinter sich zu lassen und er sich auf etwas einließ, das sein Leben nachhaltig verändern sollte.

Monate vergingen und Michael vergaß mehr und mehr seine Tat. Vielleicht verdrängte er sie auch eher, aber er mochte überhaupt erst gar nicht daran denken. Nur die zwei Millionen Euro, die er nun zusätzlich sein Eigen nennen konnte, brachten ihn ab und an ins Grübeln. Er war sogar selber überrascht darüber, wie wenig ihm das Ganze zu denken gab. War es wirklich so einfach und folgenlos, unmoralisch zu handeln?

Michael lag mit Sarah auf dem Sofa und schaltete durch die verschiedenen Fernsehkanäle. Es war bereits weit nach Mitternacht und sie gähnte nahezu unaufhörlich, so dass sich die Müdigkeit auch mehr und mehr auf Michael übertrug. „Komm, lass uns ins Bett gehen“. Sarah räkelte sich in seinen Armen und schmiegte sich an seine Brust. Als Michael den Fernseher ausschalten wollte, bemerkte er jedoch eine Nachrichtensendung, die über ein Medikament namens Tumorol berichtete. Tumorol - ihm stockte der Atem. Er stellte den Ton lauter. „Die überaus positiven Ergebnisse der Studie versprechen dem Pharmakonzern Milliardengewinne. So ist Tumorol gegen eine Vielzahl von Krebserkrankungen und Tumore wirksamer als die meisten bisher üblichen Krebsmedikamente und dürfte somit reißenden Absatz finden. Ab morgen wird Tumorol offiziell zugelassen und somit tausenden Patienten jedes Jahr ein längeres Leben verleihen.“ Michael schluckte. Sein Puls stieg an. Übelkeit stieg in ihm hoch und er vernahm das Pochen seines Blutes. Urplötzlich meldeten sich Gefühle in ihm, die er in dieser Form zuvor nicht verspürt hatte. Jetzt war alles zu spät. Die Folgen seines Handelns waren unausweichlich. Der Zeitpunkt, zu dem er noch etwas hätte tun können, verpasst. Er realisierte, dass er damit sein Leben lang auskommen musste, ohne je wieder eine Chance auf Wiedergutmachung zu haben. „Ich gehe schon ins Bett, kommst du gleich?“ Sarah richtete sich auf und gab ihm einen Kuss. Michael bejahte, doch er war mit seinen Gedanken ganz woanders. Es wuchs die Gewissheit in ihm heran, dass kein Geld der Welt seine Tat rechtfertigte. Er erkannte sich selber nicht mehr wieder. War er nicht immer derjenige gewesen, der gewissenhaft seiner Arbeit nachging und von den anderen als Moralapostel angesehen wurde, nur weil er alles nach seinem besten Wissen und Gewissen machen wollte? Schätzte man an ihm nicht die Loyalität, die er guten Freunden und seiner Frau gegenüber zeigte? Jetzt verheimlichte er ihnen seine wohl schlimmste Tat und versuchte, sie vor allen anderen geheim zu halten. Nervös kaute Michael an seinen Fingernägeln. Das hatte er seit Jahren nicht mehr gemacht, denn er war immer ein ausgeglichener Mensch, der im Kreis seiner Familie, die er über alles liebte, Ruhe und Erholung fand. Doch nun schien ihm alles aus den Händen zu gleiten. Nachdenklich schleppte er sich zu Sarah ins Schlafzimmer - von seinem Optimismus war auch der kleinste Rest verflogen.
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Und der Schluss:

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3. Teil

Es machte ihn fertig. Nicht nur, dass ihn sein schlechtes Gewissen plagte und die Beziehung zu Sarah in den nächsten Wochen wieder einmal eine schwierige Phase durchlebte, wenn nicht sogar die schwierigste überhaupt - nein, es kam auch noch Markus hinzu, den er weiterhin jeden Tag in der Universitätsklinik um sich hatte. Michael konnte nicht glauben, dass Markus nicht ins Grübeln zu kommen schien. Vielleicht verbarg er es auch, aber das tat er zumindest gut. Markus hatte ihm gegenüber nie ein Wort der Reue ausgesprochen, während Michael immer wieder das Gespräch suchte. Doch Markus wies ihn jedes Mal aufs Neue zurück. „Hör auf darüber zu reden, wir haben es getan und sollten alles darum geben, nicht aufzufliegen. Also lass uns nicht darüber reden, klar?“ Eigentlich war es immer der gleiche Satz, den Michael zu hören bekam, doch trotzdem versuchte er es immer wieder in der Hoffnung, einen Funken Reue in Markus' Stimme erhaschen zu können. Doch er konnte es nicht. So blieb er mit seiner Schuld alleine. Und das quälte ihn noch mehr. Erschwerend hinzu kamen die ständigen Kopfschmerzen, die manchmal ein unerträgliches Ausmaß erreichten. Michael wusste nicht, ob sie die Folge seiner psychischen Belastung waren, doch er verschwendete keinen Gedanken daran. Doch auch das änderte sich.

Er hatte das ungute Gefühl, als wäre seine Sehfähigkeit in letzter Zeit schlechter geworden und dass Gegenstände vor seinen Augen verschwammen - dass aber ein Hirntumor daran Schuld war, damit hatte er nie gerechnet. Michael saß vor seinem Computer im Arbeitszimmer und betrachtete mit zugekniffenen Augen das Bild der Kernspintomographie. Dort saß es also in seinem Kopf und breitete sich aus. Schnell. Ungehindert. Nicht aufzuhalten. Bösartig. Jetzt gehörte er also selber zu denjenigen, die er damals behandelt hatte. Jetzt gehörte er zu denjenigen, die dem Tode geweiht waren. Zu denjenigen, denen er selbst während der Studie Tumorol verabreicht hat. Michael konnte keine klaren Gedanken fassen. Er wusste nicht, wie es weiter gehen sollte. Sollte er den anderen überhaupt von seinem Hirntumor erzählen? Seiner Frau, seinen Arbeitskollegen? Sollte er nicht lieber alles für sich behalten? Er würde ja sowieso sterben, es wäre nur noch eine Frage der Zeit. Wollte er denn noch dieses Leben leben mit der ständigen Gewissheit über seine Tat? Selbst wenn er es zugeben würde, wäre für seine restliche kurze Lebensspanne eine enge Gefängniszelle sein letztes zu Hause. Es gab also nur zwei Möglichkeiten - entweder er wartete, bis ihn der Hirntumor dahinraffte, oder er setzte seinem Leben vorzeitig ein Ende. Er musste nicht mehr lange darüber nachdenken, denn der Entschluss fiel ihm auch zu seiner eigenen Überraschung leicht. Michael schaltete den Computer aus und rieb sich die Augen. Sein Kopf schmerzte. Sein Blick war verschwommen und auch das Reiben der Augen brachte keine Besserung. Er erhob sich von seinem Stuhl, packte sich den Autoschlüssel und seinen Mantel, knipste das Licht aus verließ das Büro. Doch sein Weg führte ihn nicht zum Auto. Sein Ziel war der Medikamentenschrank.

Wieder einmal war es spät geworden. Sarah schlief bereits, als Michael das Schlafzimmer betrat. Er hatte damit gerechnet, schließlich kannte er es bereits. Seine Frau war ihm völlig fremd geworden. Er wusste nicht, was sie den ganzen Tag machte und abends darüber reden konnten sie auch nicht. Es war fast wie eine Wohngemeinschaft. Nur mit der Gewohnheit und dem Wissen, verheiratet zu sein, ließ sich erklären, wieso die beiden noch zusammenwohnten. Denn es verband sie nicht mehr viel. Michael zog ein einen Briefumschlag aus seiner schwarzen Aktentasche. Er entnahm ihm eine Hand voll weißer Tabletten und einen handschriftlichen Brief und legte beides auf seinen Nachttisch. Vorsichtig, um Sarah nicht zu wecken, kroch er zu ihr unter die Decke. Er schaute sie an, sehr lange sogar. Er betrachtete ihre Gesichtszüge, die noch genauso weich waren wie zu der Zeit, als er sie kennen lernte. Ihre Nasenflügel vibrierten gleichmäßig beim Atmen und ab und an blinzelte sie mit ihren Augen. Es waren für ihn gefühlte Stunden, die er neben seiner Frau lag. Doch es waren seine letzten. Er wollte er sie in ihrer ganzen Intensität in sich aufnehmen. Seine Hände griffen nach den Pillen. Ohne langes Zögern bewegte er sie in Richtung seines Mundes. Er spürte den mehligen Geschmack auf seiner Zunge, den ihm seine Patienten geschildert hatten. Es kribbelte, der Speichel begann bereits mit der Zersetzung. Mit einem Schluck beförderte er die Pillen nach unten. Es war vollbracht. Er hatte Tumorol genommen. Eine viel zu hohe Dosis Tumorol.

Er gab Sarah einen letzten Kuss und vergewisserte sich, ob er seinen Brief bereits aus seiner Aktentasche geholt hatte. Er hatte. Es war alles, was er noch wollte. Er war mit sich und seinem Gewissen im Reinen. Mit einem leichten Lächeln auf den Lippen drehte er sich auf die Seite und schlief ein letztes Mal ein.
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Alt 16.12.2007, 21:20   #12
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Auf alle Fälle gutes Ende...
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cirE: "Lasst uns eine Männerselbsthilfegruppe gründen, "Is was e.V.?"
Ricco: "Plädiere für einen anderen Namen, sonst kommt Berghutzen mit den Selbsthilfegruppen "Is was e.V.?" und "Iss was e.V.?" durcheinander." .
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Danke schön, das höre ich gerne.

Schließlich ist das Ende mit das Wichtigste an einer Geschichte. Schlechtes Ende = schlechter Gesamteindruck.
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Alt 13.03.2008, 12:49   #14
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So, wen es interessiert:

Hier gibt es meine Geschichte und alle anderen meines Literaturkurses zum Lesen!

Sind wirklich einige klasse Geschichten bei
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